Karriereleiterin unterwegs: bahn-comfort

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Emtpy interior of the train for long and short distance in Europe

 

Das Neue Jahr beginnt für mich, wie das Alte aufgehört hat: Terminstress. Mein gebuchter Zug von Berlin nach Frankfurt a. M. hat den Bahnhof Berlin schon seit 20 Minuten verlassen und ein Ende meines Gerichtstermins ist noch nicht in Sicht. „Macht nix“, denke ich und bleibe entspannt. Ich habe ohne Zugbindung gebucht und als Vielreisende habe ich den bahn-comfort-Status, finde daher auch ohne Platzreservierung einen Sitzplatz, jedenfalls im bahn-comfort-Bereich.

Für meine nicht so bahnafine Leserschaft sei kurz erklärt, dass es zumindest in der 1. Klasse eines jeden ICE einen Waggon gibt, in dem 6 bis 10 Sitzplätze immer für Inhaber des bahn-comfort-Status reserviert sind. Dieser Sonderstatus, der seinem Inhaber auch in überfüllten Zügen im Notfall einen Sitzplatz sichert, lässt sich nicht käuflich erwerben, sondern muss durch „Vielfahren erdient“ werden. Nur wer über seine Bahncard genug Meilen sammelt, um jährlich ein bestimmtes Meilenkontingent zu erreichen, bekommt die begehrte Bahncard mit entsprechendem Status und darf einen der comfort-Sitzplätze nach dem Prinzip des „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ in Anspruch nehmen. Das geht sogar so weit, dass man als bahn-comfort-Karteninhaber Mitreisende vom Sitzplatz „verscheuchen“ darf, die dort zwar Platz genommen haben, aber nicht im Besitz einer bahn-comfort-Karte sind. Relevant wird ein solches Szenario meist dann, wenn durch Unwetter oder Streiks andere Transportmöglichkeiten wie Flugzeuge wegfallen, technische Defekte zu Zugausfällen führen etc. und folglich der Run auf Zugplätze losgeht. Angesichts drohender „Platzlosigkeit“ scheut man sich als privilegierter Vielfahrer dann auch nicht, Mitreisende auf den Bahn-comfort-Plätzen nach ihrer entsprechenden comfort-Karte zu fragen. Dabei wird man entdecken, dass es eine relativ hohe Zahl an Mitreisenden gibt, die keinerlei Vorstellung davon haben, was bahn-comfort überhaupt bedeutet und dementsprechend auch nicht über den erforderlichen Status verfügen, also ihren Sitzplatz (murrend) „räumen müssen“. Diejenigen allerdings, die einem schon beim ersten Satzteil „Entschuldigen Sie bitte, sind sie im Besitz einer…“ ebenso freundlich wie siegessicher lächelnd ihre bahn-comfort-Karte entgegenstrecken, sind zu nahezu 100% männliche Geschäftsleute in (überwiegend) grauen edlen Anzügen und teuren handgenähten Schuhen. Frauen trifft man in dieser Gruppe nur wenige an. Woran das liegen mag, ist nicht wissenschaftlich verifiziert, bekleiden immer noch nur wenige Frauen Positionen, die mit so vielen Geschäftsreisen verbunden sind, dass der VielfahrerInnen-Status erreicht wird? Vielleicht drängen sich die Männer auch unternehmensintern vor, wenn es um Geschäftsreisen geht oder vielleicht sind viele Frauen auch total froh, wenn sie nicht so häufig von Kindern und Familie entfernt sein müssen. Vorerst wird dieses Phänomen ungeklärt bleiben, allerdings nicht unentdeckt.

In der Welt der Geschäftsmänner jedenfalls scheint es sich bereits herumgesprochen zu haben. Zunächst hatte ich mich nicht gewundert, dass ich in einem überfüllten ICE von einem männlichen Mitreisenden angesprochen wurde, ob ich eine bahn-comfort-Karte hätte. Was mich allerdings irritierte, war die Tatsache, dass der Fragende gleich, nachdem ich ihm selbstsicher meine bahn-comfort-Karte hingehalten hatte, aufgab und keinen anderen der nur männlichen Reisenden auf den restlichen bahn-comfort-Plätzen mehr fragte, sondern den Weg in den Speisewagen antrat. Es war ja denkbar, dass unter den anderen Bahn-comfort-Sitzblockierern jemand saß, der keinen Vielfahrerstatus besaß und nicht weiter „zuckte“. Bei der ersten Erfahrung dieser Art dachte ich jedoch nicht weiter darüber nach, sondern vertiefte mich auf meinem sicheren Platz in meine Arbeit. Binnen weniger Wochen wiederholte sich der Vorgang allerdings noch dreimal. Und jedes Mal war ich unter den bahn-comfort-Nutzern die einzige Frau und zugleich die einzige, die von einem Mann nach ihrer Berechtigung gefragt wurde. Ein Fragender hielt sich dabei erst gar nicht damit auf, nach der Karte zu fragen, sondern unterstellte mir gleich, dass ich wahrscheinlich gar nicht wisse, auf welcher Art Platz ich säße und dass dieser nur für Vielfahrer vorgesehen sei. Auf meine Rückfrage, ob er meine bahn-comfort-Karte sehen wolle, murmelte er unwirsch und kleinlaut, „man werde ja wohl noch fragen dürfen“. Umso erstaunlicher war es, dass er außer mir – Wiederholung! – keinen anderen bahn-comfort-Occupierer mehr fragte: Da saßen wiederum nur Männer. Langsam beschlich mich der Verdacht, dass allein der Umstand, Frau zu sein, die Skepsis meiner Mitfahrer an meinem Vielfahrerstatus begründet. Als ich meine Vermutung im Freundeskreis erzählte, wurde mir diese prompt durch eine ganz ähnliche Geschichte eines Freundes bestätigt.

Besagter Freund fährt zwar regelmäßig Bahn, allerdings nicht so weite Strecken, dass er den begehrten bahn-comfort-Status sein Eigen nennen könnte. Dennoch saß er in einem überbuchten Zug auf einem solchen Platz. Die ganze Fahrt über blieb seine Nichtberechtigung unentdeckt, obwohl ein anderer Komfortkarteninhaber nur zwei Frauen nach ihrer Berechtigung fragte, meinen Freund und andere männliche Mitfahrer allerdings ungeschoren ließ und stattdessen unverrichteter Dinge abzog.

Dabei glaube ich nicht einmal, dass den betreffenden Platzsuchenden ihre geschlechterspezifische Selektion bewusst ist. Vermutlich fällt es ihnen selbst ebenso wenig auf wie mir bei den ersten Vorfällen. Sollte sich das ganze allerdings wirklich unterbewusst abspielen, ist es deswegen nicht weniger alarmierend, sondern eher im Gegenteil. Es zeigt die offenbar tief verankerte Vorstellung, dass Frauen entweder gar nicht wissen, wo sie sitzen und welche Anforderungen an sie gestellt werden, oder sogar die unterbewusste Überzeugung, Frauen würden weniger hart arbeiten und weniger geschäftlich verreisen, schon um Familie und Haushalt in Ordnung zu halten. Möglicherweise steckt auch gar kein frauenfeindliches Vorurteil dahinter, sondern unterbewusst die Erwartungshaltung, dass eine Frau die Nachfrage an sich wahrheitsgemäßer beantworten werde als ein Mann und auch höflicher in ihrem Tonfall bleibe als ein Mann, der um seinen schönen Sitzplatz bangt.

 

Pia-Alexandra Kappus

 

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