Wenn die Bahnfahrt plötzlich Arbeitszeit ist …

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A glass of beer on a dark background. Oktoberfest. Beer festival. Selective focus. Background with copy space.

Von mir als Arbeitsrechtlerin könnten meine Leser an dieser Stelle, vermutlich zu Recht, erwarten, dass ich Ihnen hier die Vorteile erläutere, die sich für ArbeitnehmerInnen aus dem neuesten Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17) zur vollen Anrechnung von Dienstreisezeiten als Arbeitszeit ergeben. Stattdessen möchte ich Ihnen einen ganz eigenen Blick anbieten.

Während ich diesen Artikel schreibe, sitze ich im Sprinter von Berlin zurück nach Frankfurt a. M. und trinke, ganz nebenbei gesagt, den schlechtesten und für diese Qualität teuersten Espresso meines Lebens. Es ist 19.10 Uhr und ich bin heute Morgen um 5.10 Uhr in mein Auto gestiegen, um zum Bahnhof und von dort um 6.14 Uhr weiter nach Berlin zu sprinten. Wenn ich Glück habe, parke ich gegen 21.00 Uhr vor meiner Haustür. Dann bin ich rund 15 Stunden geschäftlich unterwegs gewesen. 7 Stunden mehr, als arbeitsvertraglich für gewöhnlich vergütet werden. Nach dem neuen höchstrichterlichen Urteil aus Erfurt müssten mir dafür 7 Überstunden gut geschrieben werden. Leider bin ich nun einmal selbstständig und komme nicht in diesen Genuss, was aber wiederum den Vorteil hat, dass ich auch nicht mit dem Arbeitszeitgesetz in Konflikt gerate: Denn unter diesem Gesetz hätte ich streng genommen nach 10 Stunden meine Reise abbrechen und bei passender Gelegenheit aus dem Zug aussteigen steigen müssen. Eine Konsequenz des neuen Urteils ist es nämlich, dass Arbeitnehmer in der Regel die gesetzliche Höchstarbeitszeit pro Tag überschreiten, sobald sie länger als 10 Stunden auf Dienstreisen sind. Wenn ich jetzt also mit einem Haufen „Gesetzesbrecher“J im Zug sitze, dann möchte ich an dieser Stelle einmal alle ArbeitnehmerInnen bitten, auf den Bahnfahrten, die für sie nunmehr in vollem Umfang, noch dazu unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit, als Arbeitszeit bzw. Überstunden berechnet werden, auch tatsächlich zu arbeiten. Dann hätte das BAG-Urteil für mich als Selbstständige und Arbeitgeberin nämlich zumindest den positiven Nebeneffekt, dass ich mir in Zukunft nicht mehr oft stundenlange private, teilweise höchst persönliche Telefonate im Zug anhören müsste. Dass Mitreisende ungeniert im Großraumwagen geschäftliche Telefonate führen, in denen nicht selten Namen von KollegInnen, Firmennamen von Mitbewerbern oder vertragliche Details mit den dazugehörigen Vertragspartnern fallen und gar mit konkreten Summen geprahlt wird, sobald ein „big deal“ eingetütet ist, damit habe ich mich längst abgefunden. Jetzt aber nährt das BAG meine Hoffnung, mir könnten in Zukunft Telefonate erspart bleiben wie dasjenige eines Mitreisenden, der zunächst mit seiner Ehefrau über die Kinder und die Wochenendplanung telefoniert mit der Einschränkung, dass er möglicherweise erst Samstagnachmittag von der Geschäftsreise zurück sein könne, und das anschließende Telefonat mit seiner Freundin über die Abendplanung für Freitagabend und seine gewundene Erklärung, warum er Samstagvormittag leider schon wieder weg müsse. Ich glaube nicht, dass der 5. Senat des BAG derlei als Arbeitszeit anerkennen wollte, aber im Ergebnis wird es so kommen, denn kein Arbeitgeber kann überprüfen, ob auf der Bahnfahrt zum Geschäftstermin gearbeitet, FiFA 18 gespielt, (zweifelhafte) Filme angesehen oder eben privat dauertelefoniert wird. Wie Arbeitgeber auf diese neue Situation reagieren und was ArbeitnehmerInnen machen, wenn sich ihre Arbeitszeiten durch unvorhergesehene Zugausfälle oder Umleitungen wegen ICE- oder Böschungsbrandes bis Mitternacht verlängern, wird spannend zu beobachten sein.

Eine interessante Frage wäre übrigens auch, ob Alkohol während der Arbeitszeit erlaubt ist. In Sichtweite bestellt sich jemand gerade das dritte Bier.

Na dann, mal Prost!

Pia-Alexandra Kappus