Wer spricht denn da…? oder: Von der Zugtelefonitis, männlich und weiblich betrachtet
Ich fahre aus beruflichen Gründen sehr häufig mit der Bahn. Und genauso häufig wundere ich mich darüber, wie mitteilungsbedürftig meine Mitreisenden am Telefon sind. Lautstark und auch inhaltlich weitgehend ungehemmt werden Fahrt für Fahrt geschäftliche, aber auch private Gespräche geführt. Einzig im „Sprinter“ von Frankfurt a. M. nach Berlin, Abfahrt morgens 6.14 Uhr, herrscht die ersten beiden Stunden friedliche Ruhe. Sobald aber die ersten Sekretärinnen/Mitarbeiter der Mitreisenden ihre heimischen Büros betreten, meist wohl gegen 8 Uhr, beginnt auch das Konzert verschiedener Klingeltöne im 1. Klasse-Großraumwagen. Je länger ich gezwungen bin, den Ausführungen meiner Mitreisenden zu lauschen – denn auch angestrengtes Weghören bringt erfahrungsgemäß nichts –, desto mehr erstarre ich in Ehrfurcht vor meinen Reisebegleitern: Offenbar hat es mich in ein Abteil mit den gesamten Wirtschaftslenkern der Nation verschlagen!
Ich kenne indes keinen von ihnen aus Funk oder Fernsehen, was aber auch daran liegen mag, das ich generell wenig Zeit habe, fern zu sehen, und die Zeitung, hinter der ich mich im Zug verkrieche, ist auch nicht die mit den vier großen Buchstaben. Vielleicht sollte ich zumindest Letzteres einmal ändern? Es kann ja nicht sein, dass ich hier inmitten solch herausragender Persönlichkeiten sitze, die lautstark über millionenschwere Geschäftsabschlüsse reden und darüber, wie geschickt sie den Vertragspartner über den Tisch gezogen haben, mir aber keiner bekannt ist.
Mittlerweile ärgere ich mich über diese ungebetenen Vorträge erfolgreicher 1. Klasse-Fahrer nicht mehr, sondern nutze sie für persönliche Sozialstudien, die mich durchaus auch beruflich schon deutlich weitergebracht haben. Unlängst ist mir nämlich aufgefallen, dass es sich bei der lautstarken Zugtelefonitis um ein weitgehend männliches Phänomen handelt. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die Anzahl der 1. Klasse reisenden Geschäftsfrauen immer noch unerfreulich gering und letztlich weit unterdurchschnittlich ist. Aber so einfach liegt die Sache dann doch nicht. Sonst wäre es nämlich nicht zu erklären, dass ich, die selbst schon beim ersten Klingelzeichen meines Handys den Sitz Richtung Abteilausgang verlässt, auf den Zuggängen immer wieder gleichgesinnte Frauen mit Handy am Ohr treffe. Meine Zugbeobachtungen haben in der Tat ergeben, dass Frauen sehr viel seltener lautstark – zuweilen stundenlang – von ihrem Sitzplatz aus telefonieren. Sie stehen bevorzugt auf und gehen auf den Gang. Ob das möglicherweise am vertraulicheren Inhalt ihrer Telefonate (mit der besten Freundin?) liegt, vermag ich nicht zu beurteilen, denn im Gegensatz zu den Männern höre ich von den Frauentelefonaten ja praktisch nichts.
An diesem Punkt enden meine geschlechterspezifischen Erkenntnisse naturgemäß. Was sich aber beobachten lässt, ist, dass sich neuerdings auch manche Männer bemüßigt fühlen, mitten im Telefonat das Abteil zu verlassen und das Gespräch im Gang weiterzuführen, wenn sie bemerken, dass eine Mitreisende zum Telefonieren extra – demonstrativ? – auf den Gang geht. Lustigerweise hat das ein Mitreisender vor einigen Wochen mehrmals hintereinander genau so gehalten, bis die Mitreisende, die ihm wohl als Vorbild gedient hatte, in Göttingen ausstieg. Von da an führte er seine Telefonate wieder gemütlich aus dem Zugsitz heraus!
Pia-Alexandra Kappus
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